Vögels Interessen – Walter-Gropius-Straße

Gropiusstraße 1

Der Innenstadt-Vögel-Hotspot. Was nur zieht die Tiere fast magnetisch an? Die kurze Flugstrecke zum Dach des Theaters, wo die Vögel auch gern ruhen? Also Interesse an darstellerischer Hochkultur! Die grandiose Beobachterposition auf innerstädtische Verkehrsströme? Also Interesse an ingenieurstechnischer Erforschung des Verkehrs! Oder sind es nicht gegessene Pausenbrote der Kinder der angrenzenden Schulen? Also Interesse an kulinarischen Köstlichkeiten der Weimarer Elternhäuser! Falls letzteres, bedürfen die Vögel der Geduld. Auf ferienbedingt verwaisten Schulhöfen sind derlei Spezereien gerade Mangelware. Kunst und Wissenschaft müssen reichen.

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Ausflugsort – B7

B7

Google maps vermeldet als Koordinaten 51.003097, 11.316025. Der Straßenname ist B7. Rätselhafter Weise nennt man sie aber auch Umgehungsstraße. Das Gehen als Tätigkeit nämlich kann durchaus nicht an dieser Straße empfohlen werden. Es sei denn, man möchte das Weiterleben umgehen oder deutlicher formuliert: den raschen Unfalltod suchen. Dann, ja dann ist man als Fußgänger hier richtig. Nur, den Sonntagmorgen acht Uhr, den sollte man für eine Umsetzung dieser Ambitionen meiden. Warum? Machen Sie mal einen Ausflug an diesen Ort!

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Kontaktbörsenzentrum – Eckenerstraße

Eckenerstraße

Parship, Tinder, Facebook? Der Mensch braucht einen anderen Mensch‘. Elitepartner, christliche Partnersuche, Friendscout 24? Auf welcher Plattform suchen? Flirtcafe, 50plus Treff, eDarling? Es ist vertrackt. Was jüngeren Generationen Kopfzerbrechen bereitet, hat die ältere Generation längst gelöst: man braucht …  einen Hund! Denn, der von der Leine gelassen, führt zur stetigen Kontaktanbahnung. Morgens, mittags, abends, egal. Die Eckenerstraße ist eine der Kontaktbörsenzentren der Stadt. Ob diese oldfashioned Strategie allerdings auf Dauer billiger ist als die junge digitale, weiß man nicht.

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Hagebuttenparadies – Güterbahnhof

Güterbahnhof

Hagebuttenmarmelade auf Butterbrot, Hagebuttenlikör mit Hochprozentigem, Hagebuttentee in Teegläsern. Hagebutten sind eine Delikatesse und sehr begehrt. Doch diese hier sind Tabu und die Unpflückbarkeit eine unausgesprochene Übereinkunft der Weimarer. Einer ausgesprochenen rationalen Begründung bedarf das nicht, weiß doch jeder, dieser Ort ist durch die KZ-Häftlingstransporte schwer belastet. Für mehr- wissen-wollen empfiehlt sich der Blick ins Geschichtsbuch. Die Hagebutten indes kümmert’s nicht. Sie leben selbst im Winter hier im Paradies. Vernichtung droht ihnen nicht.

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Dampf ab! – Döbereinerstraße

Döbereinerstraße

Wärme braucht der Mensch. Im Industriegebiet lassen sich die Anzahl der Mitarbeiter der Unternehmen und damit deren wirtschaftliche Potenz auch am Rauch studieren. Doch es scheint auch eine Graswurzel- , nein genauer, eine unterirdische Gully-Bewegung zu geben. Zugegeben, sie ist noch unscheinbar. Aber auch sie hält sich an das Motto der Großen: Ich dampfe, also bin ich.

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Erinnerungsrelikte – Allstedterstraße

Allstedterstraße

Der Garten der Senioren. Ein eingezäunter Ort für erlöschende Erinnerungen. Und mittendrin eine Bushaltestelle, ein Grabkreuz und ein Frosch. Stehen sie hier für die, die in dämmrigen Erinnerungsfetzen noch immer auf den Bus warten und die am Grabkreuz um die geliebten Toten weinen? Wahrscheinlich. Aber der Frosch? Wohnen im Altersheim vielleicht auf Riesenamphibien spezialisierte Amazonasforscher? Was, wenn Tunnelbauer einziehen? Oder Schlangenzüchter? Oder gar Sprengstoffexperten?

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Riesenröhren – Hans-Eiden-Straße

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Teleskope zur Himmelsbeobachtung? Sender zur Ufo-Kontaktaufnahme? Oder gar Kanonen zum Schutz der hier wohnenden Senioren? Niemand weiß es. Und seit sich die obdachlosen Männer an diesem Platz keinen berauschenden Getränken mehr hingeben, sind die Riesenröhren einsam. Denn Schulkinder, Rollatorschiebende und Glückssucher spazieren lediglich vorbei. Ihr Ziel ist der Kiosk nebenan. Der Ort für Süßes, Strickanleitungen und Lottoscheine. Denn wozu mit Anstrengung geheimnisvolle Dinge enträtseln, wenn das Glück an der Ecke so einfach käuflich zu erwerben ist.

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Verehrungsresistenz – Platz der Demokratie

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Carl August, auf bronzenem Pferd, reitet dem Schloss entgegen. Ein Auto umkreist das Denkmal. „With the taste of the poison paradise I’m addicted to you“, tönt es durch die geschlossenen Autoscheiben. Carl August starrt schweigend in die blaue Ferne. Die Frau am Steuer singt: „Don’t you know that you’re toxic?“ Carl August bleibt unbewegt in seinem Sattel.

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Koexistenz – Friedrich-Ebert-Straße

Friedrich-Ebert-Straße

Nachhaltigkeit! Ohne dieses Wort geht ja wohl gar nix. Zumindest nicht im Förderantragsdschungel und Politikphrasendickicht. Hier aber wurde das mal in die Realität umgesetzt. Es ist Januar, aber Weihnachten bleibt! Es weicht nicht. Selbst dann nicht, wenn der karnevalistische Februars-Irrsinn sein Kommen schriftlich ankündigt. Es herrscht friedliche Koexistenz. Bleibt die Frage: wer weicht eher?

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Träume – August-Baudert-Platz

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Münchner Wunderverkünder lassen ihre Botschaft durch die Stadt rollen. Doch manch einer blickt nicht Zukunfstverheißungen, sondern eher der Realität ins müde Angesicht. Würde das Wunder eines ICE-Halts in Weimar verkündet werden, wäre der längere Schlaf nicht nur ein schöner Traum. Und vermutlich würde sogar Weimar selbst den Vollzug des Wunders plakatieren. Vielleicht sogar in München.

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